In der Hölle des Opus Dei

VÉRONIQUE DUBORGEL: In der Hölle des Opus Dei.

Der nachstehende Ausschnitt ist die Übersetzung eines Ausschnitts aus dem bei Albin Michel in Paris erschienenen Bericht „Dans l´enfer de ´l´Opus Dei“ von Véronique Duborgel:

1) Auf dem Weg zur Heiligkeit

Es stimmt, dass ich nicht viel vom Leben weiß. Als älteste von drei Geschwistern wachse ich in einem kleinen Ort nahe der Schweizer Grenze auf. Meine Mutter ist, wie ihre Schwestern, gläubig und praktizierend, während mein Vater von Religion nicht einmal reden hören will.

Da Franz von Sales hier in der Gegend gewirkt hat, werde ich katholisch getauft und nicht protestantisch, das ist alles. Während meiner ganzen Jugend lebe ich, wie es mir gefällt, und die Moral der Kirche ist nicht unbedingt die meine. Von der Disco am Samstag Abend gehe ich direkt in die Sonntagsmesse – ich nütze die Predigt, um mich ein bisschen auszuruhen.

Ich habe Freunde. Für mich hat die Religion nicht die Bedeutung, eine Lebensweise zu bestimmen. Aber im Grunde fehlen mir die Anhaltspunkte, ich habe das Gefühl, im freien Fall zu sein; ich würde mich gerne positionieren, an etwas glauben. Sicher ist, dass ich auf der Suche nach einem Ideal bin, nach Vollkommenheit. Nach meinem Dafürhalten läuft die Welt nicht rund, es gibt zu viele Gräuel überall, ich würde gerne etwas ändern, aber ich weiß nicht wie. Existentielle Fragen drängen sich in mir. Ich habe Todesangst, ich schlafe bei eingeschaltetem Licht und kämpfe gegen den Schlaf aus Furcht, nicht mehr aufzuwachen.

Ich suche etwas und weiß nicht was.


2) Am Anfang des Jahres 1983 lässt mich mein Verlobter die entscheidende Schwelle überschreiten. Auf seinen Rat hin nehme ich im Frühjahr an einer neuen Erfahrung teil.

Der Kongress „Univ“ – so sein offizieller Name – wird mir zuerst als kulturelle Reise nach Rom präsentiert, bei der man Gelegenheit haben wird, an einer Papstaudienz teilzunehmen. Im Zentrum „Le Rocher“ versichert man mir, dass es sehr gut für mich wäre, an diesem Treffen teilzunehmen.

Einige der Mädchen, mit denen ich dort zusammenkomme, sind sehr aufgeregt und glücklich, mitfahren zu dürfen. Ich lasse mich von der Euphorie anstecken und meine Eltern bieten mir die Reise an. Tatsächlich ist der „Univ“ die Versammlung der jungen Mitglieder oder Nahestehenden des Opus Dei, die jährlich in Rom stattfindet. Aber auch das weiß ich noch nicht.


3) Da bin ich nun an die Galeere gekettet, auf der ich dreizehn Jahre bleiben sollte.

Dreizehn Jahre eines Lebens, die auf einer Woche in Rom entschieden wurden. Eine Woche - so lang sollte es brauchen, mein Leben umzukippen. Eine Woche, das ist immerhin ein bisschen wenig , um über eine Berufung zu entscheiden. Wenn ich zurückblicke, mache ich mir den Vorwurf, kein Selbstvertrauen gehabt zu haben.


4) Denn ich fürchte eine gewalttätige Reaktion meines Ehemannes, wenn ich die Institution verlasse.

Er hatte ja schon mehr als einmal die Beherrschung verloren. Die erste Aggression, an die ich mich erinnere, muss um das Jahr 1985 gewesen sein. Ich verspürte überhaupt kein persönliches Interesse für das Opus Dei, fühlte mich nicht an meinem Platz und war zunehmend gestresst von den zahlreichen Pflichten, so dass ich ernsthaft erwog, meinen Status als Supernumerarierin in den einer „Mitarbeiterin“ mit weniger Verpflichtungen umzuwandeln.

Tatsächlich muß ich jede Woche mit meinen kleinen Kindern nach Genf fahren, um an den Kursen teilzunehmen. Mitarbeiter sind drittrangige Personen, die nicht einmal Christ sein müssen, die weniger Kurse besuchen und nach Gutdünken finanzielle Hilfe geben können. Sie sind mehr Wegbegleiter als Mitglied.

Ich eröffne mich also meinem Mann. Er antwortet mir, wie es später die Regel sein sollte, in lautstarkem Ton: „Du kannst mir das nicht antun, ich verbiete es dir!“ Als ob ich ihm etwas antun wollte! Für lange Zeit sollte ich so eine Frage nicht wieder stellen.


5) Die letzte brüderliche Zurechtweisung, die ich erhielt, datiert vom Herbst 1995 in Couvrelles, einem Bildungszentrum des Opus Dei in der Region von Aisne.

Sie betraf das Färben meiner Haare, das schon gemacht hätte werden sollen, weil meine nachgedunkelten Haarwurzeln „schlampig aussähen“. In diesem Punkt würde ich kein gutes Bild des Opus geben.

Immer dieses blöde Schaufenstergehabe! Denn es war so, dass diese Haarfarbe meine natürliche war, dass ich meine Haare niemals gefärbt hatte und nichts dafür konnte, dass sie in der Sonne so schnell ausblichen.

Dieses Mal aber akzeptierte ich die Zurechtweisung nicht und ging zu meiner Direktorin, um mich zu beschweren. Ich sagte ihr, dass man sich erkundigen sollte, bevor man jemanden kritisiert, und dass ich von diesen Predigten genug hätte.

Sie antwortete mir, dass dies trotz allem gut für meine Demut wäre! Ich blieb verblüfft zurück- das schien eher ein Fall von Demütigung zu sein. Die Direktorin hätte sich entschuldigen können; aber nein, sie hat sogar ein Mittel gefunden, sich zu rechtfertigen! Irren ist sicherlich menschlich, aber es nicht „Opus-Dei-isch“.


6) Das Werk schafft Geheimnisse zwischen Ehepaaren und mischt sich in die Intimitäten der Paare ein. Von der äußeren Erscheinung besessen, halten sich die Numerarier an die Fassade: Ein Paar muß nach außen hin froh und strahlend sein, auch wenn innerhalb der Ehe alles schief läuft – wie es bei mir der Fall war.

Ich wusste kaum etwas von all den Aktivitäten meines Ehemannes innerhalb des Opus Dei. Gleicherweise habe ich auch meine schweren Eheprobleme niemals meinen Freundinnen oder bekannten Ehepaaren erzählt. Ich machte gute Miene, und wir wurden gebeten, die Kömödie ehelichen Glücks zu spielen. Niemand konnte irgendetwas ahnen. Das Gebot „Seid eine strahlende, fröhliche Familie“ beherrschte unser Leben und unsere Aktivitäten nach außen.


7) Ein Priester gibt uns eine Unterweisung über die Seele und den Unterschied zwischen dem Menschen und dem Tier. Er zitiert den hl. Kirchenlehrer Thomas von Aquin, den bevorzugten und unbestrittenen Philosophen des Opus Dei ...

Dieser Priester erklärt uns ohne mit der Wimper zu zucken, dass die Frau auf der Stufe des Hundes steht. Von den ca. fünfzehn Zuhörerinnen sind wir zwei, die reagieren – übrigens sehr zurückhaltend. Der Priester gibt dann vor, dass es sich um „ein wenig Humor“ handelt. Das ändert nichts daran, dass die Mehrheit der anwesenden Frauen die Sache ohne Murren akzeptiert hat, was eine Ahnung davon vermittelt, wie viel Würde ihnen das Opus gelassen hat. Was den Humor dieses Priesters betrifft, enthüllt diese Geschichte vielleicht ein tieferes Gefühl.

Sie bezeichnet auch die unerhörte Neigung, die alten Texte wörtlich zu nehmen. Ich bin überzeugt, dass Thomas von Aquin, wenn er heute bei all den Fortschritten der Wissenschaft wiederkäme, einige seiner Erklärungen ändern würde! Das Opus Dei aber bewahrt diese Lehren und verbreitet sie ohne Unterscheidung!


8) Ich versuche, aus dem Gedächtnis eine kurze Berechnung der „Apportationen“ (Beiträge) anzustellen, die wir abgegeben haben: Monatlicher Beitrag für ein Ehepaar: 183 €

Club: 40 € pro Trimester und pro Kind

Exerzitien: 122 € für jeden, wozu die Zugfahrkarte kommt (im Durchschnitt 40 € pro Person).

Exerzitien sind einmal jährlich verpflichtend. Mein Mann, der sehr eifrig war, machte bis zu drei im Jahr. Das macht ein Exerzitienbudget von ca. 650 € im Jahr.

Treffen: zwischen 183 und 250 € pro Person, wozu wieder die Fahrtkosten kommen (mindestens 40 € für jeden), dh. 290 € im Jahr. Für die Sommerlager der Kinder, die staatlich nicht anerkannt sind, gibt es keinerlei Subvention. Sie kommen auf ca 300 € pro Kind. Für eine Familie mit drei Kindern – was für das Opus Dei eher ein unterer Durchschnittswert ist – kommt man auf circa 400 € pro Monat. Ohne die „Extras“ zu zählen, wie etwa einen erhöhten Beitrag zu Weihnachten. Dieser macht sich in einer hübschen Summe fürs Opus bemerkbar, und in einem großen Opfer für die Familie.


9) Aber das Schlimmste sollte noch kommen. Im Jahr 2000 entdecke ich, dass ich Krebs habe. Während meiner Rekonvaleszenz bittet eine Freundin von mir, die das Zentrum des Opus Dei besucht, ohne Supernumerarierin zu sein, bei einer Versammlung ums Gebet für mich. Die prompte Antwort einer Direktorin läßt sie sprachlos zurück: „Wir beten nicht für sie, sie hat das Opus Dei verlassen.“ Ich verdiene kein Gebet. Man kehrt mir den Rücken.

Nicht zu reden davon, was wohl über mich verbreitet wird und ich glücklicherweise nicht weiß. Ich bin ausgeschlossen, in Quarantäne! Das Opus rächt sich wie es kann für meinen Austritt.

Wie viele Personen, die das Opus Dei verlassen, fallen in schwere Depressionen! Das Werk verlassen, heißt „Satan gehorchen“, heißt Todsünde, heißt sich für die Ewigkeit verdammen. Solcherart ist die Sprache, die in Bezug auf abtrünnige Mitglieder verwendet wird.